Eine kleine Übung
5 Monate nach dem Lock down. 5 Monate, seit ein Virus unser Leben und unsere Gewohnheiten durcheinanderbringt. 5 Monate, in denen ich dankbar bin: für das gemeinsame Handeln von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, für gegenseitige Rücksichtnahme und viel Bewahrung. Gleichzeitig wird klarer, dass auch bei einem „neuen Normal“ vieles nicht einfach nachgeholt werden kann. Familienfeiern, Fortbildungen, Urlaub, lang geplante Besuche mit Reisen ins Ausland … vorbei.
In den letzten Wochen haben sich meine Emotionen die Klinke in die Hand geben: Aufregung, Sorge, Zuversicht, Frustration, Müdigkeit, Gleichgültigkeit, Hoffnung. Und die überraschende Erkenntnis, dass kaum etwas so stabilisierend wirkt, wie die geistliche Routine.
Letztlich waren es nicht die Online- und Videoangebote, gestreamten Gottesdienste, Zoom-Gebetstreffen oder andere Segnungen der geistlichen digit
alen Welt die meine Ausrichtung klärten. Sondern das, was ich über viele Jahre eingeübt habe: das kontemplative Gebet am Morgen, Bibellesen untertags und ein kurzer Tagesrückblick.
Vor allem der Tagesrückblick ist mir ein wichtiger Begleiter geworden. Ein kurzes Innehalten am Abend. Ich habe jetzt Zeit. Richte mich aus. Gott ist da, bei mir. Und in seiner Gegenwart nehme ich die Resonanz dieses Tages wahr. Wofür bin ich dankbar? Was ist gelungen, was weniger? Was will sich versöhnen? All dies
darf da sein und wird Gott hingehalten. Ein Vater unser. Amen.
Diese kleine Übung, die Ignatius von Loyola als unverzichtbar beschreibt, hat mich oft erst in Kontakt mit dem gebracht, was wirklich war. Im Benennen der Realität wurde sie handhabbar. Auch ohne unmittelbare Lösungen oder Strategien. Unsicherheit verwandelte sich unbemerkt in Zuversicht: Gott hat immer noch alles in der Hand. Mein kleines Leben und die große Welt. Und deshalb kann ich jetzt beruhigt schlafen. Und so war es auch. Und ganz nebenbei habe ich jede Menge über mich, meinen Krisen-, Glaubens- und Lebensmodus gelernt. Und all das nur wegen einer kleinen Übung …
(Foto: Sonja Hannemann. Vorlage: www.berufung.jesuiten.org)